Stillen, ein Lernprozess


Bereits während der Schwangerschaft bilden die Milchdrüsen Kolostrum (Vormilch). 2 bis 5 Tage nach der Geburt des Babys – im Durchschnitt am dritten Tag – setzt dann bei der Frau der Milcheinschuss ein. Die „einschießende“ Übergangsmilch ersetzt das Kolostrum; der Körper produziert diese etwa bis 15 Tage nach Babys Geburt, danach wird die reife Muttermilch gebildet.1 All das hört sich erstmal ziemlich selbstverständlich und simpel an. Doch nicht immer „läuft“ es – in dem Fall die Milch – reibungslos. Einige Frauen haben mit Symptomen eines Milchstaus zu kämpfen, etwa einer schmerzenden, überwärmten und verhärteten Brust sowie einem allgemeinen Krankheitsgefühl. Zu dieser Stauung von Muttermilch in der Brust kommt es am häufigsten in der 3. und 4. Woche nach der Entbindung.2  

Tipp:

Holen Sie sich Hilfe von Ihrer Hebamme, wenn Sie unter typischen Beschwerden eines Milchstaus leiden, um zu verhindern, dass sich daraus eine Brustentzündung (Mastitis) entwickelt.

Darüber hinaus sind die ersten Wochen zudem des Öfteren von Still-Marathons geprägt. Experten haben der Zeit, in der das Neugeborene ständig gestillt werden möchte, einen Namen gegeben: Clusterfeeding. Das bedeutet häufige, kurze Stillepisoden, die nur von kurzen Schlafetappen unterbrochen werden. Tatsächlich ist dies eine Phase, die nach ein paar Wochen vorbeigeht und kein Hinweis darauf ist, dass die Milchmenge nicht ausreicht.3 Alles in allem dauert es etwa 6 Wochen, bis sich Mama und Baby aufeinander eingespielt haben.3 Geben Sie sich, Ihrem Körper und Baby Zeit.  

Aus wissenschaftlicher Sicht geht nichts über Muttermilch, doch ein Wort vorweg:

Das emotional aufgeladene Thema Stillen wird in der Öffentlichkeit und auch innerhalb von Familien teils hitzig diskutiert. Versuchen Sie, Ihren eigenen Weg zu finden, mit dem Sie sich wohlfühlen. Der weibliche Körper ist keine Maschine, die immer nach dem gleichen Schema funktioniert. Sie können (zum Beispiel aus medizinischen Gründen) oder wollen nicht stillen, bevorzugen das Pumpstillen oder füttern Säuglingsnahrung zu? All das ist vollkommen in Ordnung!

Win-win-Situation: Vorteile des Stillens


Über die, im Übrigen immer perfekt temperierte, Muttermilch erhält das Baby unter anderem 

  • genügend Wasser gegen seinen Durst, 
  • Mineralstoffe, Eiweiß, Vitamine,  
  • Milchzucker für Energie sowie  
  • Enzyme für eine gesunde Verdauung.

Muttermilch unterstützt das Immunsystem des Babys. Unter anderem sinkt das Risiko, an Atemwegsinfekten zu erkranken, wenn Säuglinge 4 bis 6 Monate ausschließlich gestillt werden.4 Studien lassen außerdem den Schluss zu, dass vor allem längeres Stillen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit verbunden ist, übergewichtig zu werden.5 Zudem leiden ehemals gestillte Säuglinge im Kindes- und Jugendalter seltener an Diabetes Typ 2.6 

Stillen bringt aber auch Vorteile für Mamas Gesundheit mit sich: Es unterstützt nicht nur die Rückbildung der Gebärmutter nach der Geburt, sondern kann auch vor Eierstockkrebs schützen. Stillende Mütter erkranken 24 Prozent seltener an dieser Krebsart als Frauen, die auf Säuglingsnahrung setzen. Die Schutzwirkung hängt dabei auch von der Stilldauer ab: Bei bis zu 3 Monaten pro Kind nimmt das Erkrankungsrisiko um 18 Prozent ab, wer durchschnittlich ein Jahr stillt, kann das Risiko um 34 Prozent reduzieren.7 

Stillen und Babys Immunsystem


Kommt das Baby zur Welt, profitiert es in den ersten Lebensmonaten noch vom sogenannten Nestschutz (vorübergehende Immunisierung durch die Übertragung mütterlicher Antikörper auf das Kind während der Schwangerschaft). Das kindliche Immunsystem ist aber bei weitem noch nicht vollständig entwickelt. Muttermilch bietet hier einen soliden Immunschutz für das Baby, da sie neben bioaktiven Proteinen und mütterlichen Immunzellen das wichtige Immunglobulin A (IgA) enthält, das als Abwehrstoff gegen Krankheiten gilt. Besonders hoch ist die IgA-Konzentration im Kolostrum (Vormilch). Zwar fällt der Wert in den folgenden Wochen und Monaten ab, doch ist er weiter so konstant, dass Babys Immunsystem nach und nach aufgebaut werden kann.

Auch Bakterien gelangen über die Muttermilch zum Kind. Das ist aber keinesfalls schlecht, wie lange angenommen wurde. Die Bakterien sind beim Aufbau einer gesunden Darmflora (Mikrobiota) beteiligt und lassen Babys Immunsystem weiter reifen. Für die Stärkung der kindlichen Abwehrkräfte ist eine intakte Darmflora also von enormer Bedeutung. 

Neben den Bakterien, die von der Haut der mütterlichen Brust stammen, beginn ein weiterer, wenn auch noch nicht im Detail erforschter Übertragungsweg im Verdauungstrakt der Mutter. Über das Lymph- und Blutsystem finden die Bakterien ihren Weg zu den Milchdrüsen und somit zum gestillten Baby. 

Wie lange Stillen ist ideal?


Säuglinge sollten in den ersten 6 Lebensmonaten voll, also ausschließlich gestillt werden. So lautet zumindest die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).8 Die Nationale Stillkommission (NSK) teilt grundsätzlich diesen Richtwert, fügt jedoch an, bei der Entscheidung, wie lange gestillt wird, zwei Aspekte zu berücksichtigen: 

  • die individuelle Essfähigkeit des Kindes und  
  • ein gutes Gedeihen des Nachwuchses.8  

Und wie sieht die Realität aus? Das zeigt ein Blick in die Familien: 

  • 22 Prozent der Mütter stillten ihr Baby nicht,  
  • 27,9 Prozent stillten kürzer als 6 Monate,  
  • 33 Prozent stillten zwischen 6 und 12 Monaten und 
  • 17,1 Prozent stillten länger als 1 Jahr.9 

Unsicherheiten bestehen häufig auch dann, wenn es darum geht, wie viele Stillmahlzeiten täglich angebracht sind, und wie lange jeder „Snack an der Brust“ dauern sollte. Früher stand die Regel „15 Minuten pro Brust“ im Raum, diese gilt aber heute als widerlegt. Vielmehr sei das Stillen eine Art „Zwiegespräch“, das je nach Bedarf, Lust und Laune mal 5 Minuten, mal 40 Minuten dauern kann.10  

Viele Neugeborene möchten innerhalb von 24 Stunden 8 bis 12-mal an der Brust trinken, manchmal auch häufiger.11 Für eine kontinuierliche Milchbildung sollten die Stillmahlzeiten insbesondere in der ersten Woche nach der Geburt ohnehin nicht länger als vier Stunden auseinander liegen.11

Gut zu wissen:

Vor allem, wenn Ihr Neugeborenes an gelb gefärbter Haut und Augäpfeln (Neugeborenengelbsucht) leidet, ist in den ersten Lebenstagen darauf zu achten, wie oft das Baby an der Brust trinkt. Der Richtwert: 8-mal in 24 Stunden.12 Ziel ist es, sich die abführende Wirkung des sogenannten Kolostrums (Vormilch) zu Nutzen zu machen. Das überschüssige, in die Blutbahn gelangte Bilirubin (gelber Gallenfarbstoff) wird so ausgeschieden. Bei Fragen rund um das Thema Neugeborenengelbsucht stehen Ihnen die Ärzte und Hebammen in der Klinik oder dem Geburtshaus gerne beratend zur Seite.

Eine Zeitlang ausschließlich stillen – und dann?


Irgendwann zeigen Kinder – die einen früher, die anderen später – selbst Interesse an den Leckereien, die andere essen. Das Baby macht beispielsweise Kaubewegungen oder greift nach Essen und schiebt es sich in den Mund. Ärzte vertreten den Grundsatz, mit der Einführung der Beikost nicht vor dem 5. Lebensmonat zu beginnen, aber damit auch nicht länger als zu Beginn des 7. Lebensmonats zu warten.Die ersten Beikost-Versuche leiten zwar den Prozess des Abstillens ein, sind aber keinesfalls sofortiger Ersatz für das Stillen. Vielmehr ist es ein langsames Übergehen zu größeren Mengen an fester Kost, indem nach und nach Stillmahlzeiten weggelassen werden.

Das Abstillen – Fragen & Antworten, kurz & knapp

Produzieren die Brüste auch nach dem Abstillen Milch?

Ja, sogar noch einige Wochen.13

Wie lange dauert die Rückbildung der Brust?

Wenn keine medizinischen Gründe dagegensprechen, sollte der Prozess des Abstillens ein langsamer sein (Wochen bis Monate). Das Drüsengewebe der Brust bildet sich dann schrittweise zurück und die Brust lagert wieder mehr Fettgewebe ein.

Gibt es eine zeitliche Begrenzung, über die hinaus eine Frau nicht stillen sollte?

Nein, die Angabe einer fixen Zeitspanne würde einer wissenschaftlichen Begründung entbehren.14

So viele Stillratgeber, so viele Meinungen... wer bringt Licht in den Informationsdschungel?


Sie sind sich unsicher, wie lange Sie Ihr Kind stillen sollten oder fühlen sich unwohl mit der aktuellen Stillsituation? Nachfolgend finden Sie ein paar Anlaufstellen, die Stillberatung anbieten. 

  • das Krankenhauspersonal nach der Entbindung 
  • Ihre Hebamme 
  • Still- und Laktationsberaterinnen (IBCLC) 
    Finden Sie eine IBCLC in Ihrer Nähe. Zur Info: In der Regel kommen gesetzliche Krankenkassen nicht für die Beratungskosten auf. 
  • Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen (AfS) 
    Die Mitglieder bieten Mutter-zu-Mutter-Beratung an, telefonisch, persönlich sowie bei Stilltreffen. Für dringende Fälle gibt es eine kostenpflichtige Hotline, die täglich besetzt ist. 
  • Ehrenamtliche Stillberaterinnen der La Leche Liga (LLL)
    Das Angebotsspektrum reicht von Online-Stillgruppen über persönliche Stillberatung via E-Mail oder Telefon. 

Auf ein Abschlusswort: 

Beispielsweise nach 6 Monaten abstillen, bis zum ersten Geburtstag stillen, Langzeitstillen, Pumpstillen, Stillen und Fläschchen geben im Wechsel – letztendlich gibt es zig Modelle. Finden Sie heraus, welches zu Ihnen und Ihrer Lebenssituation passt und womit Sie und Ihr Kind sich wohlfühlen. 

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Julia Lindert Die Ressortjournalistin Julia Lindert spezialisierte sich während ihres Studiums auf die Themenfelder Medizin und Biowissenschaften. Medizinische Sachverhalte in verständlicher Sprache zu formulieren, ist das, was sie an ihrer Arbeit besonders mag. Ihr Credo in Bezug auf Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten: Nichts beschönigen, aber auch keine unnötigen Ängste schüren. Julia Lindert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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