Wann spricht man von einer Frühgeburt?
Als Frühchen bezeichnet man Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren werden.1 In Deutschland betrifft dies ungefähr 8 von 100 Neugeborenen.2
Je nachdem, wann das Baby auf die Welt kommt, unterscheiden Mediziner weiter:3
- extrem frühe Frühgeburt (vor der 28. Schwangerschaftswoche)
- frühe Frühgeburt (zwischen der 28. und 31. Schwangerschaftswoche)
- späte Frühgeburt (zwischen der 32. und 37. Schwangerschaftswoche)
Häufig wird auch das Geburtsgewicht als Kriterium herangezogen:1
- Allgemein gelten Babys, die zwischen 500 und 2.500 Gramm wiegen, als Frühchen.3 Das betrifft auch Kinder, die termingerecht zur Welt kommen.
- Wiegen die Kinder weniger als 1.500 Gramm, werden sie als Frühgeborene mit sehr niedrigem Geburtsgewicht bezeichnet. Meist handelt es sich um Kinder, die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden.
- Frühgeborene mit extrem niedrigem Geburtsgewicht (unter 1.000 Gramm) kommen meist vor der 29. Schwangerschaftswoche auf die Welt.
Wie stehen die Überlebenschancen für Frühgeborene?
Die Wahrscheinlichkeit, dass vor der 23. Schwangerschaftswoche geborene Babys überleben, ist sehr gering. Daher werden Frühgeborene normalerweise erst ab der 23. Schwangerschaftswoche intensivmedizinisch betreut, da hier realistische Überlebenschancen bestehen.3
Die Begründung liegt in der Organreife: Mit Ende des siebten Schwangerschaftsmonats sind die inneren Organe ausgereift, mit Ausnahme der Lunge, die erst in der 35. Schwangerschaftswoche voll entwickelt ist.4 Im letzten Schwangerschaftsmonat legt das Kind hauptsächlich noch an Gewicht zu.
Mögliche Ursachen für Frühgeburten
Sehr häufig lässt sich keine unmittelbare Ursache für den vorzeitigen Eintritt der Wehen feststellen. Es gibt jedoch Gründe, die eine Frühgeburt auslösen können – diese können sowohl mit der Mutter als auch mit dem Kind zusammenhängen Dazu gehören unter anderem:5
- Geschlechtskrankheiten wie eine Scheideninfektion durch Chlamydien
- Komplikationen in der Schwangerschaft, beispielsweise eine Plazentainsuffizienz (unzureichende Versorgung des ungeborenen Kindes über die Plazenta)
- Konsum von Nikotin, Alkohol und Drogen
- hohe psychische Belastung infolge herausfordernder Lebensumstände
- schwere körperliche Arbeit
- angeborene Fehlbildungen
- genetische Auffälligkeiten (zum Beispiel Chromosomenanomalien oder eine Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind)
Das Risiko einer Frühgeburt ist beispielsweise auch dann erhöht, wenn Frauen bereits eine Frühgeburt hatten. Aber auch vorangegangene Mehrlingsgeburten sowie eine künstliche Befruchtung nehmen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit.6
Vorzeitige Wehen – droht eine Frühgeburt?
Kontraktionen der Gebärmutter, Abgang von Fruchtwasser sowie hellrote Blutungen sind meist Anzeichen für vorzeitige Wehen – und sollten ärztlich abgeklärt werden. Besteht der Verdacht auf eine drohende Frühgeburt, wird die Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft eingestuft. In solchen Fällen sind häufig engmaschigere Kontrollen und zusätzliche medizinische Maßnahmen nötig – etwa ein stationärer Aufenthalt in der Klinik. Wehenhemmende Mittel sowie Ruhe und Schonung sollen verhindern, dass das Kind zu früh auf die Welt kommt.
Häufig auftretende medizinische Probleme von Frühchen
Frühgeburten kommen meist auf die Welt, bevor ihr Körper und ihre Organe ausgereift sind. Das kann sich vor allem bei folgenden Körperbereichen bemerkbar machen:
Unausgereifte Lunge bei Frühgeborenen
Eines der größten Probleme bei Frühchen ist die noch unausgereifte Lunge. Erst ab etwa der 32. Schwangerschaftswoche beginnt der kindliche Körper das sogenannte Surfactant selbst zu bilden – eine lebenswichtige Substanz aus Fetten und Eiweißen.2 Sie sorgt dafür, dass die feinen Lungenbläschen (Alveolen) beim Ausatmen nicht zusammenfallen (kollabieren). Fehlt dieses Surfactant, kann es zum Atemnotsyndrom kommen, das multiples Organversagen verursachen und letztendlich zum Tod führen kann.
Bis das Frühgeborene ohne fremde Hilfe atmen kann, muss es künstlich beatmet werden. In vielen Fällen erhalten Frühchen zusätzlich künstliches Surfactant und Medikamente wie Corticosteroide, um die Lungenreifung zu fördern.
Unreife Darmfunktion bei Frühchen
Die Reife des Darms bei Frühgeborenen hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der Geburt (Schwangerschaftswoche) und dem Geburtsgewicht ab. Je früher ein Kind zur Welt kommt und je geringer sein Gewicht ist, desto unreifer ist in der Regel sein Verdauungstrakt – und desto höher ist das Risiko für die Entwicklung einer sogenannten nekrotisierenden Enterokolitis (NEC). Rund 75 Prozent aller NEC-Fälle treten bei Frühgeborenen auf, die vor der 36. Schwangerschaftswoche geboren wurden und weniger als 1.500 Gramm wiegen.7
Bei der NEC kommt es zu einer überschießenden Vermehrung von Bakterien im noch unreifen Darm. Die Darmwand entzündet sich und das betroffene Gewebe beginnt abzusterben (Nekrose). Im schlimmsten Fall breitet sich die Entzündung auf die gesamte Darmwand aus und führt zu einer Darmperforation – einem Loch in der Darmwand. Dadurch kann Darminhalt in die Bauchhöhle gelangen und eine lebensbedrohliche Infektion (Peritonitis) auslösen.
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung: Leichtere Verläufe werden in der Regel mit Nahrungspausen, Antibiotika und intravenöser Ernährung behandelt. In schweren Fällen ist meist eine Operation nötig – dabei werden geschädigte Darmabschnitte entfernt. Manchmal muss ein künstlicher Darmausgang (Stoma) gelegt werden.
Reifeverzögerung der Augen bei Frühchen
Auch die Augen – insbesondere die Netzhaut – sind bei Frühgeborenen häufig noch nicht vollständig entwickelt. Durch die vorzeitige Geburt ändert sich das Sauerstoffverhältnis in der Netzhaut, weshalb es zur sogenannten Retinopathie (RPM) kommen kann. Dabei bilden sich krankhafte Blutgefäße in der unreifen Netzhaut, die zu Ablösungen führen und unbehandelt eine Erblindung zur Folge haben können.8
Leichte Formen der RPM heilen häufig von selbst, schwerere Fälle können mit einem Laser oder durch Injektionen spezieller Medikamente behandelt werden. Um Veränderungen frühzeitig zu erkennen, sind regelmäßige augenärztliche Untersuchungen wichtig.
Nervensystem und Gefäße
Frühgeborene haben aufgrund der Unreife ihrer Organsysteme ein erhöhtes Risiko für verschiedene gesundheitliche Komplikationen, insbesondere neurologische Erkrankungen. Diese können die weitere Entwicklung des Kindes erheblich beeinflussen.
Zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen bei Frühchen gehören:9
- Intraventrikuläre Hirnblutung (IVH): Leichte Blutungen haben oft keine langfristigen Folgen, während schwerere Blutungen das Risiko für motorische Störungen, wie eine Spastik, erhöhen. In einigen Fällen kann es zu einem Hydrozephalus ("Wasserkopf") kommen, bei dem sich übermäßig viel Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit im Schädelinneren ansammelt.
- Periventrikuläre Leukomalazie (PVL): Hierbei handelt es sich um eine Hirnzellschädigung, verursacht durch unzureichende Sauerstoffversorgung sowie Infektionen. PVL erhöht das Risiko für motorische Beeinträchtigungen und Entwicklungsverzögerungen.
- Asphyxie: Ursächlich für diesen Sauerstoffmangel, der vor, während oder nach der Geburt auftreten kann, kann zum Beispiel eine Nabelschnurumschlingung sein, die die Sauerstoffzufuhr zum Kind behindert. Bei der Asphyxie kommt es zur Ausschüttung bestimmter Hormone und Entzündungsmediatoren, die insbesondere das Gehirn schädigen können. In der Folge sind körperliche und geistige Entwicklungsverzögerungen möglich.
- Schlaganfall: Die mangelnde Blutversorgung von Hirnbereichen durch verstopfte Gefäße, Blutungen oder Gefäßentzündungen kann einen Schlaganfall begünstigen. Als mögliche Spätfolgen gelten schwerwiegende neurologische Defizite wie Epilepsie oder körperliche und geistige Behinderungen.
- Fehlbildungen: Angeborene Fehlbildungen wie Spina bifida ("offener Rücken") entstehen während der Schwangerschaft und können je nach Ausmaß die Lebensfähigkeit beeinträchtigen oder zu Funktionsstörungen führen.
Frühgeborene werden intensivmedizinisch betreut, um neurologische Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Ultraschalluntersuchungen des Gehirns helfen, Blutungen oder Auffälligkeiten rechtzeitig zu diagnostizieren.
Versorgung von Frühchen im Krankenhaus
Frühgeborene benötigen nach der Geburt eine besonders intensive medizinische Betreuung. In Deutschland werden sie meist in spezialisierten Perinatalzentren versorgt, die über moderne Technik und ein interdisziplinäres Team aus Kinderärzten mit dem Schwerpunkt der Neonatologie (Neugeborenenmedizin) und weiteren Fachärzten verfügen.
Ein wichtiger Bestandteil der Versorgung ist der Inkubator, ein spezieller Wärmebettkasten, in dem Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sauerstoff genau überwacht werden. So wird ein möglichst geschütztes Umfeld geschaffen, das den Bedingungen im Mutterleib ähnelt.
Interessant: Frühchen und ihre Eltern
Auch wenn Frühgeborene im Inkubator versorgt werden, ist der enge Kontakt zu den Eltern von großer Bedeutung. Viele Kliniken fördern das sogenannte „Känguruhen“ – dabei liegt das Baby mit direktem Hautkontakt auf der Brust eines Elternteils. Das stärkt die Bindung, beruhigt das Kind und kann seine Entwicklung fördern.
Eine große Rolle spielt auch Ernährung: In einigen Fällen ist es möglich, dass die Mutter direkt stillt. Bei vielen Frühchen besteht jedoch anfangs das Problem, das sie nicht selbst trinken können, weshalb die Nahrungsaufnahme oft über eine Magensonde erfolgt. Muttermilch wird dabei bevorzugt, da sie unter anderem das unreife Immunsystem stärkt und die Entwicklung einer gesunden Darmflora unterstützt. Reicht die von der Mutter abgepumpte Milchmenge nicht aus, wird sie mit Nährstoffen angereichert oder durch spezielle Frühgeborenennahrung ergänzt.
Werden Frühchen auch geimpft?
Bei Frühgeborenen richtet sich der Zeitpunkt der Impfungen normalerweise nach dem Alter ab dem Geburtstag – nicht nach dem errechneten Geburtstermin. Obwohl ihr Immunsystem noch unreif ist, profitieren Frühgeborene von den Standardimpfungen, die sie vor potenziell schweren Infektionen schützen.
Nachsorge und Entwicklung nach der Entlassung von Frühchen
Die Entlassung aus dem Krankenhauss ist für viele Eltern ein großer Schritt – doch auch danach brauchen Frühgeborene besondere Aufmerksamkeit. Ihre Entwicklung verläuft oft etwas anders als bei reif geborenen Kindern. Manche Frühchen holen mögliche Rückstände rasch auf, andere benötigen mehr Zeit und gezielte Unterstützung.
Um mögliche Entwicklungsverzögerungen frühzeitig zu erkennen, finden regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen statt. Dabei prüfen Kinderärzte und Spezialisten unter anderem:
- neurologische Auffälligkeiten
Viele Kinder profitieren in den ersten Lebensjahren von zusätzlichen Angeboten wie Frühförderung, Physiotherapie oder Ergotherapie. Mit deren Hilfe sollen motorische Fähigkeiten, Wahrnehmung oder Sprache gezielt gefördert und mögliche Defizite abgefangen werden.
Trotz guter medizinischer Versorgung kann es bei einigen Frühgeborenen aber zu längerfristigen Herausforderungen kommen. Dazu zählen:10
- Atemwegserkrankungen wie Asthma
- Seh- oder Hörstörungen
- Konzentrations- oder Lernschwierigkeiten
- sprachliche oder kognitive Verzögerungen
Eine engmaschige Betreuung und individuelle Förderung sind daher besonders wichtig, um jedem Kind den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen.
Informationen zu sozialrechtlichen und organisatorischen Aspekten
Eltern von Frühgeborenen haben Anspruch auf besondere Unterstützung: Unter anderem verlängert sich der Mutterschutz. Die Zeit, die vor der Geburt nicht in Anspruch genommen werden konnte, wird an den regulären Mutterschutz von 8 Wochen nach der Geburt angehängt – insgesamt kann er bis zu 18 Wochen dauern.11
Zusätzlich können betroffene Familien unter bestimmten Voraussetzungen ElterngeldPlus, längere Elternzeit, Haushaltshilfen oder Pflegegeld beantragen. Sozialdienste in Kliniken oder Frühförderstellen helfen bei der Organisation und Beantragung der Leistungen.
Häufig gestellte Fragen zu Frühchen
Ein Baby gilt als Frühchen, wenn es vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren wird.3 Je nach Zeitpunkt spricht man von extrem früher Frühgeburt, früher Frühgeburt oder später Frühgeburt. Auch das Geburtsgewicht spielt eine Rolle – unter 2.500 Gramm gilt als niedrig, unter 1.500 Gramm als sehr niedrig. 3
Da viele Organe noch nicht vollständig ausgereift sind, können Frühchen Atem-, Verdauungs- oder Sehstörungen entwickeln. Auch neurologische Probleme wie Hirnblutungen oder Entwicklungsverzögerungen sind möglich. Zudem kann die spätere Entwicklung von Frühgeborenen beeinträchtigt sein, beispielsweise in Form von Lernschwierigkeiten oder sprachlicher Verzögerung.
Ein Frühchen gilt in der Regel ab der 23. Schwangerschaftswoche als überlebensfähig, da ab diesem Zeitpunkt realistische Chancen bestehen, dass das Kind mit intensiver medizinischer Betreuung überlebt.3 Die Überlebenschancen steigen mit jeder weiteren Woche im Mutterleib – insbesondere, wenn das Baby mehr Gewicht zulegt und die Organe weiter ausreifen können.
Frühgeborene werden in der Regel in spezialisierten Perinatalzentren betreut – oft im Inkubator (Wärmebettchen). Dort werden Temperatur, Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit genau reguliert. Die Ernährung erfolgt meist per Magensonde, bevorzugt mit Muttermilch.
Nach einer Frühgeburt verlängert sich der Mutterschutz auf bis zu 18 Wochen.10 Eltern können ElterngeldPlus, längere Elternzeit, Pflegegeld oder eine Haushaltshilfe beantragen. Kliniken und Frühförderstellen helfen bei der Organisation. Da eine Frühgeburt meist nicht spurlos an Eltern vorübergeht, stehen ihnen psychologische Beratungsangebot und Selbsthilfegruppen zur Verfügung.